die.jägerburg - Integrierte Angebote
für Familien mit verhaltensauffälligen Kindern
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Verhaltenstraining
Dr. Johannes Streif

 

 

 

 




 

 

 

Ist schon o.k., wenn Sie fragen, ich kann eh nicht so viel erzählen. Ich find's schade, dass er im Heim ist, aber für Mama ist es wahrscheinlich besser so. Obwohl sie viel geweint hat die ersten Wochen. Es ist schon komisch, den eigenen Bruder woanders zu besuchen. Er hat ja immer noch sein Zimmer hier, aber die meisten Spielsachen sind im Heim. Ein paar Sachen haben uns beiden gehört, aber ich hab' ihm gesagt, dass es mir nichts ausmacht, wenn er sie mitnimmt. Dort kann er ja öfter damit spielen als bei den paar Wochenendbesuchen im Jahr. Eigentlich denke ich gar nicht so viel drüber nach. Meine Freunde finden das irgendwie spannend. Die stellen sich das vor wie vor hundert Jahren, mit Schlafsaal und Uniform und so. Das ist alles Schwachsinn! Ich war schon ein paar Mal beim Essen mit dabei, da ist es fast lustiger als nur mit Mama oder früher mit der Familie.

 

 

Manchmal denke ich, ich bin fast ein bisschen neidisch auf Niklas, ich meine, es hat sich in den letzten Jahren ja alles nur um ihn gedreht. Kein Wunder, dass er ausrastet, wenn er für die Show jedes Mal großes Publikum hat. Vielleicht hätte Mama ihn einfach rumspinnen lassen sollen, der hat sich schon immer wieder eingekriegt. Andererseits hat er oft furchtbar geschrieen und gezittert und geweint, dass ich nicht glaube, dass er's nur aus Spaß gemacht hat. Richtig unheimlich! Und er hatte wahnsinnig Kraft, Mama konnte ihn fast nicht festhalten. Eigentlich bin ich schon zufrieden, dass ich nicht wie er bin. Es finden ihn auch alle komisch. Wenn Mama nicht dabei war, haben die anderen Eltern schon immer ziemlich über Niklas geschimpft, dass er verzogen ist und dass er eine Tracht Prügel verdient hätte und in der Art. Das ist alles Scheiße, aber ich hab' nie was gesagt. Niklas ist eben anders, aber das kann man halt nicht immer vertragen.

 

Er hat schon oft ziemlich genervt. Wir sind so oft irgendwohin zu spät gekommen oder mussten gehen, weil er keine Lust mehr hatte oder ausgeflippt ist und alles furchtbar peinlich war. Mama hat sich am Schluss gar nicht mehr aus dem Haus getraut. Sie schämt sich ewig für alles. Ich kann damit leben. Ich meine, er ist halt mein Bruder. Vielleicht hätte ich auch öfters mal was mit ihm machen sollen, ich meine, öfters als normal. Es ist schon alles ziemlich Scheiße jetzt. Hauptsache Mama kriegt sich wieder ein und wir machen ein bisschen auf Restfamilie. Im großen und ganzen habe ich jetzt meine Ruhe, das ist o.k. Natürlich kann ich mir Familie auch anders vorstellen, aber die Eltern sind halt verschieden.

Es würde eine riesige Beerdigung werden.
Mit einer Fahne auf seinem Sarg.
Die Angehörigen würden mir und Sindbad
Geld geben. Ma würde einen von diesen
Schleiern tragen, die übers ganze Gesicht
gehen, und würde dahinter sehr schön
aussehen. Sie würde leise weinen.
Ich würde ihr, wenn wir aus der Kirche kamen,
wenn alle auf uns guckten, den Arm um
die Schulter legen. Sindbad kam an ihre
Schulter noch nicht ran. [...]
Aber das war natürlich alles Quatsch.
Träume sind bloß in dem Moment schön,
wo man sie träumt. Meinem Pa würde
nichts passieren, ich wollte ja auch eigentlich
gar nicht, dass er starb oder sonst was;
er war mein Pa.

Roddy Doyle
Paddy Clarke Ha Ha Ha
Krüger (1994) S.271

 

 

In meiner Klasse ist bald die Hälfte der Eltern irgendwie geschieden oder alleinerziehend oder leben getrennt. Micha fährt fast jedes Wochenende allein mit dem Zug zu seinem Vater, bis nach Hamburg. Ich kann schon fast alles bei uns im Haushalt, selbst Geld holen mit Mamas Kontokarte. Nur unterschreiben muss sie noch immer. Da merkt man, dass man halt doch nur ein blödes Kind ist!

 

 

 

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