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Hier
im Heim ist es nicht schlecht. Zuhause wär's natürlich besser, aber da
konnte ich nicht bleiben. Sagt Mama. Papa auch, aber der wohnt ja nicht
mehr bei uns. Ich bin immer ausgerastet, hab' Spielsachen und Möbel
kaputtgemacht und so. Natürlich tut mir das leid, aber jetzt, wo ich hier
bin, ist es mir auch egal. Mama kommt mich immer besuchen. Jetzt ist sie
besser drauf, hat keine Angst mehr, dass ich rumspinne und ihre Wohnung
zerlege.
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Hier
ist das anders. Die haben schon umgebaut, dass ich an die teuren Sachen
nicht rankomme. Fernseher und so, die stehen im Wohnzimmer. Früher
konnten die Kinder da selber rein, jetzt muss immer einer von den
Erziehern aufschließen. Macht mir nichts aus, ich schau eh nicht so gern
fern. Ich hab' ein eigenes Zimmer, als einziger in der Gruppe. Weil sie
Angst haben, ich vertrage mich nicht mit den andern. Manchmal habe ich
Heimweh, wenn ich ins Bett gehe. Dann bin ich ganz allein. Ab und zu
schleiche ich mich dann bei einem Freund ins Zimmer und wir liegen
gemeinsam unter der Decke. Das hat Mama nie gemacht. Wenn ich allein bin,
stelle ich mir vor, dass sie und Papa am Bett sitzen und mich streicheln.
Eigentlich mag ich das nicht. Aber ich bin ja selbst schuld, dass ich
jetzt hier bin.
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Von
den Betreuern braucht mich keiner anfassen! Die meisten sind Idioten. Die
kommen doch selber nicht zurecht, streiten sich untereinander und wissen
nicht, was sie wollen. Eine Erzieherin hat schon mal geflennt, morgens am
Frühstückstisch. Ich hab' das nicht bös gemeint mit der
Geburtstagstorte. Die war für ein anderes Kind, und weil ich mich mit dem
gestritten hatte, habe ich die Torte zermanscht. Sie hatte sie selbst
gebacken. Ich hab' gesagt, dass, wenn sie mit ihrem Lieblingskind ins Bett
will, dann kann sie bei dem Scheißfraß hier auch mit 'ner Schokolade vom
Aldi winken. Da hat sie geflennt. Es hat nur wehgetan, dass sie in dem
Moment aussah wie Mama, wenn die heult. |
Pity
the child who has ambition
Knows what he wants to do
Knows that he'll never fit the system
Others expect him to
Pity the child who knew his parents
Saw their faults
Saw their love die before his eyes
Pity the child that wise
He never asked did I cause your distress?
Just in case they said yes
Tim
Rice
Chess. Booklet
zur CD.
London
(1984) 3 Knights LTD
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Ich
weiß ja, warum ich hier bin. Papa kommt nicht oft, er hat zuviel zu tun.
Er hat immer Angst, dass ich gerade wieder was angestellt habe. Früher
hat er Mama nicht geglaubt, wenn sie ihm von mir erzählt hat. Von den blöden
Betreuern glaubt er alles. Er geht auch zu den Elterngesprächen und zu
dem bescheuerten Psychologen hier. Dann sitzen sie zusammen und reden über
mich und die letzten zehn Minuten darf ich dazu. Was soll ich dann sagen?!
Die wissen doch eh alles besser. Am Anfang hab' ich ständig weinen müssen,
weg von daheim, nicht in meinem Zimmer, ohne Mama. Ich kann sie in dem
Scheißladen nicht mal anrufen, wann ich will. Für jeden Dreck gibt's
eine eigene Liste. Die labern mehr in ihre Bücher und Berichte, als sie
mit uns reden! Und dann sind sie gekommen und haben versucht, mich zu trösten.
Haben versucht, mir zu erklären, warum ich hier bin und warum das gut so
ist. Die haben jeden Scheiß über mich gewusst, vom Psychiater, vom
Jugendamt, alles! Und damit haben sie mich trösten wollen! Die haben
keine Ahnung! Und wenn ich dann ausgerastet bin und geschlagen und
getreten habe, dann haben sie mich an mein Flennen erinnert und ihr Trösten.
Toll! Ich weiß, warum ich hier bin, es macht mir nichts aus. |
Daheim
wär's besser, glaub' ich wenigstens. Aber mir traut niemand mehr. Die
Kleineren von uns lassen sich von den Erziehern verarschen. Die machen
Hausaufgaben, dass sie zum Fußballspielen oder ins Kino gehen dürfen.
Die Erzieher wollen da doch selber hin! Bei mir ist immer einer da, wenn
ich im Heim bleiben muss. Der sitzt dann beleidigt im Betreuerzimmer und
schreibt irgendeinen Scheiß in die Akten. Über mich und andere. Papa
sagt: Selbst schuld! Dass ich nicht lache, er ist ja auch nie mit mir zum
Fußballspielen gegangen. Und Mama weint, wenn sie von dem Scheiß hört,
den ich gemacht hab'. Ich hab' kein Mitleid! Sie muss nur zum Jugendamt
laufen und schon kann sie mich mitnehmen. Das hält sie kein Wochenende
aus. Ich bin nicht wie Martin! Ich bin keine scheiß Dekoration für die
Familie! |
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Wenn
Mama und Papa wieder zusammen wären, das wär' klasse. Dafür würde ich
alles geben! Manchmal denke ich, ich kann schon nicht mehr anders. Dass
irgendwas nicht stimmt mit mir, dass ich kaputt bin. Sonst wär' ich ja
nicht hier. Dann hab' ich Angst. Hier kann ich nirgendwo hin. Es gibt
keinen Riegel an der Tür, aber ich weiß nicht, wo ich hin soll. Ich will
nicht weglaufen. Ich kann doch alles. Ich bin nicht schlecht in der Schule
und ich hab' doch auch Freunde und Erzieher, die mich mögen. Warum muss
ich hier sein?
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Wenn
ich allein bin, ist es am schlimmsten. Ich roll mich unter der Decke
zusammen und kratze mich überall. Nur ganz leicht. Ich hab' Angst im
Dunkeln, aber ich mag' auch keine Sonne. Ich stell' mir immer vor,
zwischen den Beinen von Papa zu stehen, wie ein Baby. Jetzt kann ich ja
nicht mehr wegsehen. Das hier ist viel schlimmer als Mamas Angst. Die
schauen mir überall hinterher. Und wenn ich nur fünf Minuten zum Pissen
bin. Mit Martin war ich nie so allein. Da waren wir nur zu zweit und doch
mehr Freunde als hier. Hier sind wir alle Feinde. Die kaputten Kinder und
die kaputten Familien und die kaputten Betreuer. Und der gestörte
Psychologe mit seinen Fragen. Jeder hier kennt die Antworten. Aber niemand
sagt dir, was er fühlt. Ich kenne ein paar, die flennen am Tisch und zwei
Minuten später lachen sie in ihrem Zimmer. Ich mach' das genauso. Hier
will jeder ein größeres Arschloch sein als der andere. Aber nachts
weinen sie alle! Ich auch. Wir wissen, warum wir hier sind. Es macht
keinem Spaß. So schlecht ist es aber auch nicht. Es ist nur nicht besser.
Familie ist besser. Von uns hat die aber keiner mehr.
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