die.jägerburg - Integrierte Angebote
für Familien mit verhaltensauffälligen Kindern
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Verhaltenstraining
Dr. Johannes Streif

 

 

 

 




 

 

 

Ich arbeite seit nunmehr bald einem Jahr im Rahmen seines Heimaufenthaltes mit Niklas H. Die Therapie war mit der Fremdunterbringung angesetzt worden, da die Problematik nicht eigentlich in der Familie, sondern vielmehr in seinem Verhalten begründet war.

 

Am schwerwiegendsten erscheint mir dabei die Impulskontrollstörung, die zuhause nicht länger bewältigt werden konnte. Er war ja psychiatrisch untersucht worden. In der Klinikambulanz hatte man der Mutter geraten, ihn ins Heim zu geben, da zuhause die Situation außer Kontrolle geraten könnte. Dann wäre aber zwangsläufig eine stationäre Aufnahme in die Psychiatrie angestanden, während wir hier im Heim doch besser auf solche Kinder eingerichtet sind.

 

Verständlicherweise hat dieser Gedanke die Mutter sehr erschreckt. Mit der Fremdunterbringung hat sie sich dennoch nicht leicht abgefunden. Unter diesen Voraussetzungen ist die Zusammenarbeit mit den Eltern allerdings sehr gut. Bei Niklas selbst zeigen sich zwar Veränderungen, doch scheinen die im wesentlichen auf den Therapierahmen beschränkt. Von der Heimgruppe bekomme ich leider keine guten Rückmeldungen. Die Ansichten über Niklas sind sehr gespalten, das gerade gibt mir zu denken. Ich bin deshalb unschlüssig, in welche Richtung ich arbeiten soll.

Verständlicherweise kommt der weitaus größte Teil
der Jugendlichen trotz massiven Schwierigkeiten
nicht mit der Motivation in unsere Einrichtung,
eine psychotherapeutische Behandlung einzugehen.
Bis auf wenige Ausnahmen können wir dennoch
auf eine Therapieauflage verzichten, da
erfahrungsgemäß die Motivation im Lauf der Zeit
durch das Beispiel anderer in ausreichendem Maße wächst.

Vorstand des HPKJ e.V.
Das Jugendhaus Adalbertstraße - das
pädagogisch-therapeutische Konzept
in: Jetzt ist es genug!
HPKJ Eigenverlag (1995) S.40

 

 

Den Rückgriff auf seine Erfahrungen habe ich zwischenzeitlich sehr zwiespältig erlebt. Auf der einen Seite erklären viele seiner Erinnerungen die Angst vor Zurückweisung und die Selbststigmatisierung, bevor andere es tun können. Auf der anderen Seite kann seine Umwelt nicht allein als Ursache für seine Schwierigkeiten angesehen werden. In die Beziehungsmuster und Interaktionen brachte er durchaus sehr problematische Anlagen mit: Unruhe, extreme Erregbarkeit, leichte depressive und autistoide Tendenzen. Nur in der Situation zu arbeiten ist demgegenüber nicht weniger schwierig, denn ein verhaltenstherapeutisches Programm macht nur Sinn, wenn eine Kommunikationsgrundlage besteht.

 

Ich habe daher fast ein Jahr nur um ein rudimentäres Vertrauen gekämpft, das es Niklas erlaubt, etwas anzunehmen, ohne die Situation oder die Sache selbst gegen mich auszutesten. Jetzt können wir uns eine Stunde recht gut amüsieren miteinander, doch die Sicherheit und Entlastung der Therapiesituation kann er offensichtlich nicht in die Gruppe mitnehmen. Ich bin durch ihn fast in ein Spannungsverhältnis mit den Erziehern geraten, da er genau die Maßnahmen bei ihnen ablehnt, die sich bei mir als am wirksamsten erwiesen haben. Das ist eine etwas unglückliche Konstellation, denn mein Beratungsauftrag für die Gruppen bezieht sich ja gerade auf schwierige Situationen und Kinder. Aus diesem Grund habe ich auch die Supervision in dieser Gruppe vollkommen abgegeben, was der Heimleitung aus organisatorischer und wirtschaftlicher Sicht nicht besonders gefiel.

 

 

Niklas ist sicher nicht der klassische Fall einer Heimunterbringung, da leben äußerlich betrachtet schwierigere Kinder in problematischeren Familien. Aber sehen Sie, die Zeiten und damit die Konditionen und Anforderungen ändern sich. Grobe Zeiten bringen grobe Verletzungen mit sich, extreme Vernachlässigung, extreme Gewalt. Wir leben in einer Gesellschaft der subtilen Schmerzen. Was immer Kinder werden läßt wie Niklas: das Leid ist gleichgeblieben, in aller Unsicherheit und Ambivalenz für den einzelnen vielleicht sogar noch größer geworden!

 

 

 

 

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