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Diese kurze Episode als Praktikus auf dem
Lande ist eine der schönsten Abschnitte meines Lebens. Ich bekam
überraschend schnell eine unwahrscheinlich große Praxis, aber sie hatte
einen Haken. Ich litt mit den armen Kranken und Bresthaften, und da mir
nichts Besseres einfiel, im Arzneimittelschrank auch nichts Vernünftiges
vorhanden war - verschrieb ich jedem kranken Weiblein und jedem alten
Manne ein Stärkungsmittel. Und zwar in Gestalt von Tokajer. Die Apotheken
führten diesen Wein damals als "Roborans". Das sprach sich mit
Lichtgeschwindigkeit herum. Ich konnte mich der Patienten bald kaum mehr
erwehren, die sich in meinem Sprechzimmer drängten. Aber es waren keine
Privatpatienten, sie gehörten alle der Krankenkasse an. Diese Kasse sah
fassungslos erstaunt über den faßweisen verbrauch Tokajer-Verbrauch in
meiner Gegend - auf Rezept. Das ging nicht lange gut, denn es wurde
"eingegriffen". Daraufhin wurde meine Praxis schnell
notleidend...
Ferdinand Sauerbruch
Das war mein Leben
Kindler & Schiermeyer
(1951) S.43 |