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    | Das
      Deutsche Universalwörterbuch von Duden definiert Familie als
      "aus einem Elternpaar und mindestens einem Kind bestehende
      Gemeinschaft". Der Begriff der Familie partizipiert hier wie der zu
      seiner Bestimmung herangezogene der Gemeinschaft an einer positiven
      Besetzung der Sozialität. Seine Abgrenzung gegen das Individuelle
      provoziert die Konstitution von primären Verbindungen wie beispielsweise
      die Idee der Elternschaft. Statt Gemeinschaft würden Begriffe wie Gruppe
      oder System das Faktum der Verbindungen gleich beschreiben, nicht
      aber die Intention. Sprache beruht auf konventionellen Aussageabsichten.
      Wer im Deutschen - mit Duden - Familie sagt, meint eine
      Eltern-Kind-Verbindung, die in der Regel als biologisch begründet
      verstanden wird; wer von Eltern spricht, meint Vater und Mutter
      (meist in dieser Reihenfolge!); wer Eltern in ihrem Bezug zu Kindern
      sieht, meint ein Sorgeverhältnis; wer ein Kind in seinem Bezug zu Eltern
      betrachtet, meint Abhängigkeit in ihren positiven wie negativen Aspekten.
      Obschon sich die Familie zunächst in der Gesellschaft ausgegrenzt
      vorfindet, insofern Gesetze und Normen sie als ein eigenes (Sub-)System
      definieren, führt ein sozialisiertes Bedürfnis nach Autonomie zur
      Introjektion der Konditionen. Sorgerecht und -pflicht werden zu eigener
      Sorge, biologische und rechtliche Verbindungen werden emotional besetzt,
      Steuervergünstigungen und Kindergeld von gesellschaftlichen Anreizen in
      Belohnung autonomen Handelns umgewertet.   |  
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 | Ich weiß, dass dies eine pessimistische Sicht
      auf die Liebe zwischen Eltern und Kind ist. Dass sie mir widerstrebt,
      macht es nur leichter, die Familie aus sich heraus sich konstituieren zu
      sehen. Ich sehe den genetisch kodierten wie sozialisierten Wunsch, Kinder
      zu 'haben', Kinder zu lieben, ihr 'Urvertrauen' zu akzeptieren, elterliche
      Sorge und kindliche Abhängigkeit für natürlich zu erklären. Ich sehe
      die Hoffnung und den Narzissmus, in Kindern weiterzuleben, ein neues
      Kapitel der eigenen Geschichte zu schreiben, nochmals an ihrer Naivität
      teilzuhaben und die Zeit zu gewinnen, die angeblich Wunden heilen macht.
      Jetzt aber ist die Last der Gesellschaft zu meiner eigenen geworden. Ich
      rechtfertige die Konditionen, die ich nicht verantworten kann. Diesen Prozess
      durchlebe ich, um die Ausgrenzung aus der Gesellschaft zu ertragen. Sie
      sagt: Du und Dein Kind!, wenn sie meine Leistung für es
      anerkennt, wenn sie über meine Sorge urteilt und wenn sie mein Versagen
      festschreibt, weil mein  Kind ihr  nicht genügt.
      Ich sage: Ich und mein Kind!, wenn ich stolz auf es bin,
      wenn ich mich selbst für es vergesse, wenn ich unsere Einsamkeit nicht
      aushalten kann und mir einrede, wir beide wollten es so. So-Sein
      wird Ich-Sein um der Illusion der Autonomie willen, die mich die
      Gesellschaft lehrte. Damit entriss sie mich der Familie, der sie mich überantwortete,
      als ich in die Konvention der Gesellschaft noch keine Einsicht und für
      ihre Konstitution noch keine Bedeutung hatte. Andeutungsweise sollte diese
      Verschiebung in Niklas Mutter erkennbar geworden sein.   |  
    | In
      wissenschaftlichem Verständnis unterscheidet Schneewind
      (1995)* in Anlehnung an Karpel
      und
      Strauss fünf Definitionen von Familie: 1) Die "biologische
      Familie" als Summe der Verbindungen aufgrund von Blutsverwandtschaft;
      2) Die "rechtliche Familie" als Summe von Verbindungen auf
      Grundlage des Rechtssystems; 3) Die "funktionale Familie" als
      Summe von Verbindungen des alltäglichen Zusammenlebens; 4) Die
      "wahrgenommene Familie" als Summe von Verbindungen, die die
      einzelnen Familienmitglieder zueinander sehen; 5) Die "Familie mit
      langfristigen Verpflichtungen" gemessen an der Stabilität ihrer
      Verbindungen, welcher Art diese auch sind. | Von
      meinem siebten Lebensjahr an, als ich zumersten Mal nach Dänemark kam, bin ich, bis ich
 dreizehn war und aufgab, öfter abgehauen, als
 ich mich erinnern kann. Zweimal kam ich bis
 Grönland, einmal weiter bis nach Thule. Man muss
 sich nur an eine Familie anhängen und aussehen,
 als säße die Mutti im Flugzeug fünf Sitze weiter vorn,
 oder sich ein bisschen weiter hinten in die Schlange
 stellen. Die Welt ist voller Räubergeschichten von
 entflogenen Papageien, entlaufenen Perserkatzen
 und französischen Bulldoggen, die wunderbarerweise
 zu Herrchen und Frauchen in die Frydenholm Allee
 zurückgefunden haben. Das ist nichts gegen die
 Kilometer, die Kinder auf ihrer Suche nach einem
 ordentlichen Leben zurückgelegt haben.
 Peter
      HoegFräulen Smillas Gespür für Schnee
 rororo
      (1996) S.71
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 | Die
      Biologie beschreibt vererbte irreversible Konditionen: die physiologische
      und die auf ihr aufruhende psychologische Verfasstheit der
      Familienmitglieder, ihre Blutsverwandtschaft und auf Grundlage dieser
      Verwandtschaft geteilte soziale Bedingungen. Das Recht beschreibt
      gesellschaftliche Konditionen: den rechtlichen Status der einzelnen
      Familienmitglieder und der Familie als Subsystem des Gesellschaftssystems,
      staatlich sanktionierte Verbindungen, die Verfügbarkeit suprafamilialer
      Ressourcen und konventionelle Entwicklungsverläufe von einzelnen und der
      Familie insgesamt. Die Funktionalität beschreibt faktische Konditionen: wer
      mit wem wie zu tun hat. Die Wahrnehmung beschreibt
      subjektive Konditionen: was das einzelne Familienmitglied 'sehen' kann,
      was es nicht 'sehen' will und welche 'Ansichten' es glaubt, mit anderen zu
      teilen. Die Persistenz beschreibt logische Konditionen: insofern die
      Identifikation der Familie als abgegrenztem System nur durch Veränderung
      geschieht, ist Dauer eine Notwendigkeit. |  
    | Die
      einzelnen Definitionen sind keine Alternativen, sondern konstituieren
      Familie in unterschiedlichen Perspektiven. Eine umfassende Beschreibung
      eines Familiensystems muss seine Verhältnisse also in den Sichtweisen
      nachvollziehen, in denen es sich reflektiert und unreflektiert begründet.
      Zugleich schafft die Beschreibung Familie neu, da sie eine ihrer
      Konditionen ist. Die Beratungsstelle, der Psychiater, das Jugendamt haben
      Niklas und seine Familie verändert. Sie konnten die Verhältnisse zu
      keinem Zeitpunkt sehen, ohne sie zu gestalten: Sie blieben eine Möglichkeit,
      als der Vater den Kontakt zu ihnen ablehnte; sie waren ein Begriff von
      Niklas Andersartigkeit; sie warfen der Mutter kein Versagen vor, und doch
      manifestierten sie es in ihrer Gegenwart. Vom Wort als Ideologie über die
      Verbindungen bis zur vermeintlichen Beschreibung ist Familie ein
      Produkt von Konditionen. Es ist kein Respekt, Perspektiven als autonome
      Konstruktionen auszugeben. Die Verhältnisse sind anders, weil ich da
      bin, nicht weil ich sie anders sehen will. | 
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    | Fürsorge ... |  
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    |  |  | * Klaus A. Schneewind Familienentwicklung
 in: Oerter / Montada (Hrsg.)
 Entwicklungspsychologie
 PVU (1995) S.129
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