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Als Niklas ins Heim kam, war er zehn Jahre alt.
Er war klein, aber kräftig, charmant und von gewinnendem Äußerem, stets
unruhig, oft wild und von einer extremen, aber sehr kontrollierten
Aggressivität. In den Tests der Psychologen wurde er für überdurchschnittlich
begabt befunden, allerdings wenig frustrationstolerant und zumeist
ostentativ gelangweilt. Er verfügte über ein für sein Alter weit
fortgeschrittenes Gespür für soziale Kontexte, gebrauchte die
Informationen jedoch nur zu destruktiven Aktionen. Es dauerte keine vier
Wochen, bis er die Erzieher des Heimes polarisiert hatte, einige für sich
eingenommen, andere sich zu ehrvollen Feinden gemacht. Die Schnittstelle
zeichnete frühere Brüche des Personals nach: Hierarchiekonflikte, Alter
und die bisherigen Jahre in der Institution, Parteilichkeiten gegenüber
anderen Heimkindern und private Probleme der Mitarbeiter. Bei den anderen
Kindern war Niklas umstritten. Er löste in jedem von ihnen ambivalente
Gefühle aus: Achtung und Angst, Zuneigung und Hilflosigkeit, Ablehnung
seiner Dominanz und zugleich Respekt vor der Sicherheit seiner kreativen
Abgrenzungen. |