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Die Hyperaktivität ist das
"klassische" Symptom der Hyperkinetischen Störung. Diese
Verhaltensauffälligkeit hat dem Syndrom nach dem Zweiten Weltkrieg auch
seinen Namen gegeben. Wer hyperaktive Kinder kennt, versteht, warum die
augenfällige Symptomatik der Unruhe lange Zeit im Vordergrund der
Diagnose und Therapie stand. Hyperaktive Kinder sind meist in Bewegung,
sind laut, anstrengend - kurzum: sie stören andere, vor allem die
Erwachsenen. Letztlich hat erst die Auseinandersetzung mit erwachsenen
Hyperkinetikern den Fokus von der v.a. für die Umwelt störenden
Hyperaktivität auf die individuell hinderlichen Aufmerksamkeitsdefizite
verschoben. Dabei ging es nun nicht mehr allein um eine offensichtliche
und damit "von außen" diagnostizierbare Verhaltensstörung,
sondern um die von den Betroffenen selbst erlebte Einschränkung durch die
Störung. Aus heutiger Sicht sind allerdings sowohl die Hyperaktivität
als auch die Aufmerksamkeitsstörung dem dritten Symptom, der
Impulsivität, bzw. seiner neurobiologischen Ursache unterzuordnen.
Die beiden gebräuchlichen Diagnoseschemata ICD-10 und DSM-IV
zählen jeweils 5 Beschreibungen einzelner Symptome auf, die zu dieser Symptomgruppe
gerechnet werden.
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hyper =
drückt in Bildung mit Adjektiven eine Verstärkung aus / übermäßig,
übertrieben
Hyperkinese =
übermäßige Aktivität, Unruhe in den Bewegungen
Duden Deutsches Universalwörterbuch (1989) S.747 |
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Die/der Betroffene ... |
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1 |
zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf
dem Stuhl herum |
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2 |
steht [oft]* im Unterricht oder in anderen Situationen auf,
in denen Sitzenbleiben erwartet wird |
* nur DSM-IV |
3 |
läuft herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen
dies unpassend ist. (Bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein
subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben) |
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4 |
hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit
Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen. |
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5 |
zeigt ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer
Aktivität, das durch die soziale Umgebung oder durch Aufforderungen nicht
durchgreifend beeinflussbar ist ** |
** nur ICD-10 |
5 |
ist häufig "auf Achse" oder handelt oftmals, als
wäre er/sie "getrieben" *** |
*** nur DSM-IV |
6 |
redet häufig übermäßig viel **** |
**** im ICD-10 unter
Impulsivität |
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Im Fall der ICD-10 müssen zumindest 3 der 5
Symptombeispiele bejaht werden. Zudem muss die Symptome über einen Zeitraum
von mehr als 6 Monaten zu beobachten sein, damit die Diagnose einer Hyperkinetischen
Störung gestellt werden kann. Als symptomatisch gelten dabei nur
solche Auffälligkeiten, die ein für den Stand der Entwicklung
ungewöhnliches Ausmaß erreichen. Im Fall des DSM-IV bilden Impulsivität und Hyperaktivität eine nur
intern gegliederte gemeinsame Symptomgruppe. Zur Stellung der Diagnose
einer Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (AD/HD
bzw. AD/HS) des kombinierten (Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität)
bzw. dominant hyperaktiven Typus (ohne Aufmerksamkeitsdefizite) ist es
notwendig, dass zumindest 6 der 9 Symptombeispiele aus den
(Unter-)Bereichen der Impulsivität und Hyperaktivität bejaht werden.
Damit ist es theoretisch möglich, die Diagnose ohne Symptome der
Impulsivität zu stellen, da bereits jene der Hyperaktivität sechs von
neun Symptombeschreibungen der gemeinsamen Symptomgruppe ausmachen.
Umgekehrt ist jedoch eine Diagnosestellung ohne Symptome der
Hyperaktivität nicht möglich. Allerdings erlaubt es das DSM-IV, sich zur
Diagnose der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung entweder
auf die Symptomgruppe der Aufmerksamkeitsdefizite oder der Impulsivität
und Hyperaktivität zu beschränken.
Die ICD-10 kennt mehrere Subkategorien hyperaktiven Verhaltens:
Neben der einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F.90.0)
sowie der Hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens (F.90.1)
gibt es noch die Restkategorien der nicht eingehender erläuterten sonstigen
hyperkinetischen Störungen (F90.8) sowie der nicht näher
bezeichneten hyperkinetischen Störungen (F90.9), die für Fälle
reserviert ist, in denen diagnostisch nicht klar zwischen einer einfachen
Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung einerseits bzw. einer
Hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens andererseits unterschieden
werden kann.
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Die jüngste
heißt Cindy, und wir kommen auf Anhieb glänzend miteinander aus. Sie hat
braune Ponyfransen, die ihr über die Augenbrauen fallen, wunderschöne
Lippe, ein Engelsgesicht und ganz oben am Hinterkopf einen Pferdeschwanz,
an dem zu ziehen ich mir einfach nicht verkneifen kann. Es funktioniert
genau wie dei Pfeife einer Lokomotive, immer wenn man daran zieht, ertönt
ein schrilles Kreischen. Wir laufen zum Spielen nach draußen. Ich zeige
ihr sogar meinen Lieblingsplatz im Baum und wie man da hinkommt. Sie kann
überraschenderweise sehr gut klettern. Dann ruft man uns zum Essen. Aber
es ist noch nicht ganz so weit. Cindy und ich spielen im Haus wieder
Fangen, toben durch die Diele ins Wohnzimmer, auf die Terrasse hinaus, zurück
in die Küche, rauf an den Baum, runter vom Baum ... bis man uns noch mal
zum Essen ruft.
Wir marschieren in die Küche, aber das Essen ist
immer noch nicht fertig. [...] Also jage ich weiter hinter Cindy her,
durch die Küche ins Wohnzimmer und wieder zurück in die Küche, immer im
Kreis zwischen Mom und ihrem neuen Freund [...].
Danny Sugerman
Wonderland Avenue
Maroverlag (1991) S.28 |
Beide Manuale verlangen für eine gültige
Diagnose zudem, dass einige Symptome in zwei oder mehr Kontexten auftreten
(z.B. zuhause und in der Schule), d.h. nicht an eine bestimmte soziale
Situation gebunden sind. Darüber hinaus müssen sie eine merkliche
Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit
bzw. ein Leiden daran begründen. Zuletzt müssen die Symptome einen
eigenständigen Krankheitswert besitzen, dürfen also nicht Folge anderer
psychischer oder körperlicher Erkrankungen sein.
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impulsiv
unaufmerksam |
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